Heute tue ich etwas, von dem die Weisen wissen, dass man es nicht tun sollte. Ich versuche, über Gott zu sprechen und weiß sehr wohl, dass das Wort von Laotse zutrifft: "Der Wissende redet nicht und der Redende weiß nicht".

      So ist es: Ich bin ein Nicht-Wissender in einer bestimmten Weise, so wie jeder andere, der über etwas spricht, das – und diese Tradition ist im christlichen Raum auch da – das letztlich etwas Unaussprechliches ist. Denn das, was Gott ist oder wer Gott ist, das haben schon die Alten gewusst, das weiß niemand, noch ist es überhaupt möglich, es in Worten oder in Bildern angemessen auszudrücken. Wiewohl die christliche Tradition voll ist von Bildern. Sie reiht über die Jahrhunderte ein Bild ans andere. In ihr wurde – z.B. anders als in der jüdischen und in der islamischen Tradition – immer wieder der Versuch unternommen, dieses, was da mit Gott gemeint sein könnte, in irgendeiner Form bildlich auszudrücken, zu malen, zu beschreiben, in Gedichte, in Texte zu fassen.

      Und damit sind wir aufgewachsen und das ist  ein Teil unseres Glaubens. Und wenn wir uns hier  versammeln, zum Sitzen in der Stille, zum "Gebet des Schweigens", dann ist klar: Hier ist ein Raum, in dem das Thema Gott eine Rolle spielt. Sonst kann ich ja nicht von Gebet sprechen. Also, Gebet ist immer eine Weise, die sich in Beziehung setzt mit etwas anderem als einem selbst . So hat sich unsere Tradition im Laufe der Zeit entschieden, die Personalität Gottes als eine Grundlage des Glaubens in den Mittelpunkt des Systems zu stellen. Gott der Vater, Gott der Schöpfer, Gott das Du, an den sich die Gebete wenden, stand über die Jahrhunderte im Zentrum unserer Tradition und steht es über weite Strecken bis heute. Ich sage im Zentrum, weil es da, wo es ein Zentrum gibt, da gibt es immer auch Ränder. Und an den Rändern der Tradition gab es andere Erfahrungen. Es hat in der christlichen Tradition immer wieder Männer/Frauen gegeben, die gespürt haben, die gewusst haben: mit der Person und der Identifikation Gottes mit Person und mit Vater, mit Schöpfer, das reicht nicht aus, das greift zu kurz. Und diese Menschen haben immer wieder versucht, andere Formulierungen zu finden. Eine Formulierung möchte ich euch vorlesen. Die stammt von Gregor von Nyssa. Er ist aus dem Kreis der sogenannten Kirchenväter, also 3./4. Jahrhundert n. Chr., er hat folgenden Text verfasst:

      "Mit welchem Namen soll ich dich anrufen? Mit welchem Namen soll ich dich anrufen, der du über allen Namen bist? Du, der du über alles, welchen Namen soll ich dir geben? Welcher Hymnus kann dein Lob singen? Welches Wort von dir sprechen? Kein Geist kann in dein Geheimnis eindringen, kein Verstand dich verstehen. Von dir geht alles Sprechen aus, aber du bist über alle Sprache. Von dir stammt alles Denken, aber du bist über alle Gedanken. Alle Dinge rufen dich aus, die Stummen und die mit Sprache begabten. Alle Dinge vereinen sich, dich zu feiern, das Unbewusste und das was bewusst ist. Du bist das Ende aller Sehnsüchte und alles schweigenden Strebens. Du bist das Ende alles Seufzens deiner Schöpfung. Alle, die deine Welt zu deuten wissen, vereinen sich, dein Lob zusingen. Du bist beides: Alles und Nichts. Nicht ein Teil, auch nicht das Ganze. Alle Namen werden dir gegeben und doch kann keiner dich fassen. Wie soll ich dich also nennen, du, der du über alle Namen bist?’"
       

      Ein anderes Beispiel:
      Im Johannes-Brief heißt es:
      "Gott ist Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm"

      Da löst sich die Personalität schon ein ganzes Stück auf. Sie bleibt aber dann, wie gesagt, im Zentrum. Dann allerdings geschieht etwas, was über die Jahrhunderte, Jahrtausende immer wieder geschehen ist, Das Bewusstsein verändert sich und damit das Wissen der Menschen und das, wie sie die Welt betrachten. Es verändert sich im Laufe des 18. bis ins 20. Jahrhundert ganz grundlegend. Und so wissen wir heute, dass die Welt gar nicht nur eine Welt ist, sondern dass es Welten und Millionen und Milliarden von Welten, Galaxien, Sternensysteme gibt. Wir wissen, alles besteht aus kleinen, kleinsten Teilchen, bis hinein wo die Teilchen in Energie übergehen. Wir wissen, was Bewusstein ist. Wir wissen, wie  sich die Arten entwickelt haben, wie sich die Evolution in etwa abgespielt hat, wie im Laufe dieser Evolution die Spezies Mensch entstanden ist, wie sie Bewusstsein entwickelt hat, und, und, und,......

      Also es hat sich ganz grundlegend verändert die Sicht des Menschen, die Rolle der Erde, ihr Platz in dem ganzen Kosmos, in dem ganzen Dasein. Und notwendiger Weise ist natürlich dann auch, so spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der Ruf ganz laut geworden: "Gott ist tot". Es kann einen Gott, der eine Person ist, einfach nicht geben. In diesem System, das sich auflöst in all diese kleinen und kleinsten Einheiten auf der einen Seite und das auf der anderen Seite von unbegreifbarer Größe ist. Darin kann nirgendwo ein Himmel sein, kann nirgendwo eine Person sein.

      Und im übrigen: wenn etwas personal ist, dann kann es nur deswegen personal sein, weil es Personen gibt, Menschen z.B., die sich nichts anderes vorstellen können, als dass alles so ist wie sie auch sind und deshalb wird Gott personale Qualität zuerkannt und er wird dann zu einer Person oder zum Vater oder meinetwegen auch zur Mutter, oder zum Sohn. Und der wird dann auch zu einem Gott erhoben. Und es ist aber, in meiner Sicht, das was an Personalität in Gott da ist, nur ein Ergebnis menschlichen Bewusstseins.

      So zumindest eine starke Stimme, die von der Kirche über ganz weite Strecken bis heute zurückgewiesen wird. Sie sagt dann: nein, es gibt doch andere Möglichkeiten und die Personalität Gottes ist und bleibt Grundlage. Dann entsteht aber in Menschen – in Menschen wie mir z.B. – ein Grundkonflikt: was mache ich jetzt? Ist richtig, was die Wissenschaft über Jahrhunderte entwickelt hat und erfahren und entdeckt hat, und sieht die Welt so aus, ist sie so aufgebaut, haben diese Dinge sich so entwickelt und ist dann vielleicht doch kein Platz mehr für eine Vorstellung vom personalen Gott oder ist diese Vorstellung eine unangemessene Vorstellung?

      Und wenn ich zu dem Ergebnis komme – und ich komme zu demErgebnis –, es ist eine unangemessene Vorstellung. Sie passt einfach nicht mehr in mein Weltbild.

      Das erinnert ein bisschen an dem Kampf der Kirche gegen Galilei. Hundert Jahre lang wurde  behauptet (oder noch länger): das kann nicht sein, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums steht. Und irgendwann haben es dann die Forscher wie Kopernikus und andere doch berechnet und bewiesen und schließlich mit einem Nachgang von über 100/150 Jahren ist diese Vorstellung schliesslich auch in die Kirche eingewandert.

      Und eine solche Situation scheint mir jetzt auch zu sein. Ich gehöre zu denen, die sagen: diese Vorstellung von Gott als Person ist für mich – und ich spreche nur für mich – einfach nicht mehr tragfähig. Sie ist einfach nicht mehr da..., sie geht einfach nicht mehr, ja, ich kann sie nicht nachvollziehen, ich kann mich darauf nicht stützen, ich kann mit ihr – und will mit ihr – so nicht leben.

      Das hängt allerdings bei mir sicher auch damit zusammen, dass ich zu denen gehöre, die sagen: Ich habe andere persönliche Erfahrungen gemacht, die es mir möglich machen, zu sagen: Ich kann auf diese Vorstellung von der Personalität Gottes verzichten. Ich brauche sie nicht. Für mich war – muss ich ganz ehrlich sagen – von Kindheit an da immer etwas anderes tragfähig. Ich habe immer gewusst: Ich bin einfach da in diesem für mich undurchschaubaren, völlig rätselhaften Ganzen. Ich habe meinen Platz. Ich bin gemeint. Ich bin geliebt. Ich bin gefragt. Ich bin gerufen – von wem immer, von was immer. Da war nicht eine Person, auf die ich das hätte projizieren können oder projizieren wollen.

      Das war kein bewusster Akt, sondern das war einfach so und es ist bis heute geblieben. Es hat sich erweitert. Es hat sich vertieft. So kann ich von mir sagen: solche Sätze, wie sie der Meister Eckart gesagt hat: "Einen Gott, den es gibt, den gibt es nicht’’. Das ist ein Satz, den kann ich nachvollziehen und sagen: ja, für mich ist das auch so. Diesen Gott, den es gibt, den hat es für mich nie gegeben und den gibt es jetzt nicht und ich werde ihn auch hoffentlich bis zu meinem letzten Atemzug nicht brauchen.

      Was ich brauche, ist Religio, Rückbindung, Wissen, Vertrauen.

      Grundlage für mich ist, und da bin ich jetzt wieder beim Johannes-Brief – dass ich mich geliebt weiß, zur Liebe fähig weiß, und es macht mir nichts aus, dass ich als Mensch über diese Welt gehe, wenn auch nur in Augenschlag und Sandkorn- und Regentropfengröße – ich gehe, und  es ist gut und richtig, dass es so ist.

      In diesem tiefen Bewusstsein löst sich die Frage auf und es ist gleichgültig: Person oder nicht Person. Ich muss mich und will mich an dieser Diskussion gar nicht weiter beteiligen. Ich habe meine eigene Entscheidung getroffen. Das ist für mich kein Akt einmaliger, bewusster Erkenntnis, sondern das ist  Ergebnis eines lebenslangen Prozesses, zu dem ich stehe, in dem ich stehe, aus dem ich gar nicht heraus kann. Und deswegen sieht es aus meiner Sicht so aus: ich bin da, ich lebe, ich versuche das, was ich erkannt habe zu leben. Es mit anderen zu teilen. Es für andere zu sein.

      Und damit bin ich wieder am Anfang angekommen – ich kann nur sagen: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und ich weiß, dass alle meine Worte das nicht wiedergeben können, was ich dennoch weiß. Und weil das so ist, bin ich auf diesem Weg der Kontemplation und gehe auf ihm weiter und lade jede und jeden, der das möchte ein, mitzugehen und will keinerlei Anspruch erheben, dass außerhalb dessen, was ich weiß, und was andere dann unter Umständen mit mir teilen, dass das wahr und richtig ist im objektiven Sinne, sondern ich stimme dem zu und indem ich ihm zustimme, verstumme ich und bin am Ende dessen, was ich über Gott sagen und wieder doch nicht sagen kann, für heute angelangt.